Nachhaltigkeit next Level: betitelt als Mega-Trend, durchdringt Neo-Ökologie mittlerweile viele Bereiche des alltäglichen Lebens und beeinflusst damit auch die Business- und Eventbranche. Neo-Ökologie definiert neue Logiken und Wertesysteme für ein ausgewogenes Miteinander von ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten. Dabei zielt der Begriff vor allem auf die enge Beziehung zwischen Wirtschaft und Umwelt ab. Umwelt, beziehungsweise die Natur mit seinen natürlichen Ressourcen, wird zur Grundlage einer globalen Identität, in der faire und ressourcenschonende Handlungsweisen des gesellschaftlichen Kollektivs vorausgesetzt werden. Sowohl der voranschreitende Klimawandel als auch die Corona-Pandemie tragen maßgeblich dazu bei, dass sich in der Wirtschaft innovative Lösungen entwickeln, die einen sozialen und ökologischen Mehrwert bieten. Hierzu zählen beispielsweise virtuelle und hybride Events, die mit Fokus auf Zero Waste, ihrer CO2 Ersparnis durch dezentrale Ausrichtung und ihrer Langlebigkeit wichtige nachhaltige Elemente aufgreifen.
Der Weg in eine nachhaltige Veranstaltungswirtschaft
Neue Perspektiven für eine klimaschützende, gerechte Welt und damit einhergehend für eine nachhaltige Veranstaltungswirtschaft erreichen die MICE Branche schon seit längerem, aber nie war die Umsetzung so wichtig wie heute. Auch in unserer letzten Partner-Umfrage* wurde deutlich, dass Locations und deren Kund:innen das Thema Nachhaltigkeit zunehmend priorisieren und als elementar für ein Event einstufen. Locations wollen verstärkt ihren Event-Service unter dem Blickwinkel sozialer, ökologischer und ökonomischer Bedingungen in den Einklang bringen – und damit einen Meilenstein für die digitale Transformation der Veranstaltungsbranche setzen. Im Umkehrschluss wählen Eventplaner:innen verstärkt Eventräume, die Nachhaltigkeitsaspekte im Angebot parat haben und sich der Thematik aktiv annehmen. Unsere Studie zeigt, dass 77% der befragten Locations angeben, dass ihre Kund:innen immer mehr Wert auf Nachhaltigkeit in der Eventplanung legen.
Starke Ideen, kräftige Anreize sowie die nötigen Werkzeuge für die Umsetzung sind vorhanden, aber die Wichtigkeit und Dringlichkeit müssen in der Eventbranche noch mehr ins Rampenlicht gestellt werden – dass das auch parallel zur langsamen Erholung aus der Corona-Pandemie funktioniert, zeigt Nachhaltigkeitsexperte Stefan Lohmann im Folgenden deutlich auf.
*April 2021, ca. 2700 befragte Locations aus unserem Portfolio
Interview mit Stefan Lohmann, Experte für Nachhaltigkeit in der Eventbranche
Wir haben den Hamburger Experten für Nachhaltigkeit in der Eventbranche befragt, wie sich die Thematik vom Trend zum Standard hin entwickeln kann – weg von Greenwashing und leeren Versprechungen hin zum einem ganzheitlichen und langfristigen Paradigmenwechsel. Stefan Lohmann ist zudem Gründer von Sustainable Event Solutions. Einer Online Plattform und Netzwerk, das die nachhaltigen Lösungen und Lieferant:innen der Eventbranche sichtbar macht.
Einer Online Plattform und Netzwerk, das die nachhaltigen Lösungen und Lieferant:innen der Eventbranche sichtbar macht. 2021 ist es Stefan Lohmann gelungen mit den „16 Steps zur Klimaneutralität der Veranstaltungswirtschaft bis 2025″ die Verbände und Netzwerke der Eventbranche zu vereinen, um Nachhaltigkeit als Standard in der Branche zu etablieren. Sein erklärtes Ziel ist die Transformation der Veranstaltungswirtschaft hin zu einer klimaneutralen und nachhaltigen Kreislaufwirtschaft.
Was bedeutet Nachhaltigkeit für dich?
Darüber könnte ich jetzt stundenlang reden :-). Grundsätzlich beschränke ich mich beruflich auf den Eventbereich. Mir geht es um die Transformation der gesamten Veranstaltungsbranche hin zu einer nachhaltigen und klimaneutralen Kreislaufwirtschaft. Auch über das Thema nachhaltige Eventwirtschaft könnte ich jetzt stundenlang referieren.
Aber ich habe dafür den komprimiertesten Leitfaden für die Branche geschrieben – der fasst das Thema gut zusammen und gibt einen guten Überblick über das Thema. Anhand des Riders mit Checkliste kann JEDER Veranstaltungen nachhaltig umsetzen.Dies ist auch eine ideale Grundlage, um mit den diversen Stakeholdern und Gewerken in Bezug auf nachhaltige Umsetzung einer Veranstaltung ins Gespräch zu kommen. Hier findet Ihr meinen Sustainability Rider mit Checkliste.
Was verstehst du konkret unter nachhaltigem Wirtschaften in der Eventszene?
Grundsätzlich verstehe ich darunter, dass man es als Firma schafft, klimaneutral und nachhaltig zu werden. Also eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt, die sich mindestens an die Gesetzgebung hält. Also an das Klimaschutzgesetz d.h. Klimaneutralität bis 2045. Das schreibt das Gesetz vor. Darüber hinaus sollte jede Firma aber eben auch das Thema Nachhaltigkeit verinnerlichen. Also nicht nur die ökologischen Aspekte, sondern auch die sozialen Aspekte wie Gleichberechtigung, Inklusion, Diversität, faire Bezahlung, Umgang miteinander etc.
Noch spannender finde ich es, Geschäftsideen zu entwickeln, die nicht nur klimaneutral sind, sondern die Nachhaltigkeit als Kern des Geschäfts verstehen. Also an meinem Beispiel: Ich habe meine Firma im Bereich Artist Booking und Live Entertainment Konzepte (internationale Stars, Shows, Speaker, Hosts, etc ) nicht nur nachhaltig und klimaneutral ausgerichtet, sondern mit Sustainable Event Solutions ist mein Kerngeschäft, alle Veranstaltungen klimaneutral zu machen und die Transformation der gesamten Veranstaltungswirtschaft voranzutreiben. Das hat einen riesigen positiven Impact!
Welche Parameter gibt es für die Umsetzung von nachhaltigen Events?
Eine Übersicht der Kernpunkte liefert meine Checkliste, siehe Link oben.
Mein Ansatz ist: den negativen Impact so weit wie möglich herunter zu bringen, so dass nur ein minimaler Rest übrig bleibt, der mit heutigen organisatorischen und technischen Mitteln nicht zu verhindern ist. Nur dieser Rest wird kompensiert. Damit ist man rechnerisch bei einem klimaneutralen Event. Aber wer will schon neutral sein oder einfach nur weniger scheiße? Ich will helfen, Events zu organisieren, die einen positiven Impact haben auf Natur und Gesellschaft. Das geht auch heute schon!
Im Detail ist Nachhaltigkeit ein äußerst komplexes Thema z.B. im Bereich Abfall. Da kommen rechtliche Aspekte ins Spiel (Gewerbeabfallverordnung) genauso wie eventspezifische Schwierigkeiten. Beispielsweise beim Mehrweg.
Reduzierung von Abfall
Mehrweg-Lösungen bei Getränken und Speisen sorgen für bis zu 90% weniger Abfall. Aber Mehrweg-Lösungen müssen gut durchdacht werden, weil bei Festivals schwere Plastikbecher oder Teller als Wurfgeschoss eingesetzt oder mit Bruchstücken als Waffe genutzt werden können. Es gibt also immer viel zu bedenken. Es gibt keine einfache Lösungen für alle Veranstaltungen, sondern man muss immer genau hinschauen und individuelle Lösungen finden.
Wechsel zu Ökostrom
Auf der anderen Seite ist es extrem leicht mit Nachhaltigkeit anzufangen und auch viel zu erreichen, indem man zum Beispiel auf Ökostrom umstellt. Das ist ein Anruf, der wirklich viel bewirkt und in der Regel auch noch Geld spart und dabei riesige Mengen an Co2- Emissionen verhindert. Hier sollte man als Veranstalter*in auf die richtigen Locations setzen, die bereits Ökostrom anbieten.
Verantwortung und Chancen von Locations
In meinem Artikel für die Musikwoche habe ich mal aufgelistet, welche Verantwortung Locations haben und warum es so wichtig ist für Veranstalter*innen bei der Auswahl der Location auf Nachhaltigkeit zu achten. Locations haben eine Schlüsselrolle, wenn es um Nachhaltigkeit in der Eventbranche geht, denn die Locations haben einen großen Einfluss auf den Einkauf, Ressourceneinsatz, Energiemanagement, Abfallmanagement.
Anreize durch Live-Kommunikation
Auch die Live-Kommunikation wird stark unterschätzt. Mit der Kommunikation kann man die Gäste auf nachhaltige Anreisemöglichkeiten hinweisen und Vorteile anbieten. Beispielsweise werden Personen, die mit dem Fahrrad zur O2 Arena in London anreisen, belohnt, indem die Fahrräder viel näher an der Location parken als Autos. Aber da gibt es ja noch viel mehr Möglichkeiten, die nachhaltige Anreise zu belohnen.
Welche nachhaltigen Chancen und Perspektiven siehst du für die Veranstaltungsbranche?
Ich sehe unglaublich viele neue und nachhaltige Business-Möglichkeiten in der Branche. Beispielsweise fällt das Einwegplastik durch gesetzliche Bestimmungen weg. Das heißt, man braucht neue und mobile Spüllösungen auf allen Veranstaltungen. Die Kommunikation mit den Ticketkäufer:innen im Vorfeld einer Veranstaltung wird in den Vordergrund rücken. Infos über Anreisemöglichkeiten, Kombitickets, nachhaltige Übernachtungsmöglichkeiten sind nur einige von vielen Punkten – da kommen noch viele neue Geschäftsmodelle auf uns zu. Nachhaltigkeit ist nicht das Problem der Branche, sondern die Lösung. Problematisch ist eher die Langsamkeit der Branche.
Ich vermute mal, dass viele in der Branche denken: Die nachhaltigste Veranstaltung ist die, die nicht stattfindet. Das stimmt aber nicht. Die nachhaltigste Veranstaltung ist die, die einen positiven Impact auf Natur und Gesellschaft hat.
Was wünscht du dir von der zukünftigen Eventgestaltung im Allgemeinen?
Dass sich möglichst alle Menschen impfen lassen, damit unsere Branche und die Kultur wieder durchstarten kann. Wichtig ist auch, dass alle in der Branche verstehen, dass es schon ein Gesetz gibt, das Klimaneutralität bis 2045 vorschreibt. Das bedeutet, dass alle Künstler:innen, Lieferant:innen, Veranstalter:innen, Locations, Cateringfirmen, Technikfirmen, einfach ALLE eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie benötigen, um die Klimaziele von Paris zu erreichen und dem deutschen Klimaschutzgesetz zu entsprechen.
Firmen, die keine entsprechende Nachhaltigkeitsstrategie haben, werden mittlerweile verklagt.
Nachhaltiges Wirtschaften bedeutet auch Rechtssicherheit und Zukunftsfähigkeit.Alles andere zerstört die Umwelt, in der wir leben. Und das ist verrückt. Kein Tier der Welt ist so bescheuert, seine eigenen Lebensgrundlage zu zerstören. Auch die Eventbranche muss verstehen, das Nachhaltigkeit und Klimaneutralität kein Wohlwollen mehr ist, sondern ein Gesetz. Zudem zerstören wir unsere Lebens- und Businessgrundlage, wenn wir nicht nachhaltig wirtschaften. Open Air Events werden unbezahlbar und unversicherbar, wenn Wetterkatastrophen weiter zunehmen und genau das passiert, wenn wir das 1,5 Grad Ziel nicht erreichen.
Wie kann der Nachhaltigkeitsaspekt bei der Planung fest etabliert werden, braucht es dafür bestimmte Anreize? Hast du Tipps für Eventplaner:innen?
Welchen Anreiz braucht es noch als unser Überleben zu sichern und die Zukunft unserer Kinder? Nachhaltigkeit muss die Grundlage aller Veranstaltungen werden und das schon bereits beim ersten Gedanken der Eventplanung. Wer Nachhaltigkeit nicht als Grundlage jeder Entscheidung fest implementiert, der verschenkt Einsparpotential beim Energie und Ressourceneinsatz, sowie bei der Abfallvermeidung und damit bei den CO2 Emissionen.
„Nachhaltigkeit gehört an den Anfang einer Eventplanung. Wer es nur am Ende beachtet betreibt Greenwashing. Reine Kompensation hat nichts mit Nachhaltigkeit zu tun. Das ist nur pures Greenwashing.”
Vielen Dank für das spannende und aufschlussreiche Interview, Stefan!
Mehr zum Thema nachhaltige Eventlösungen und wie Locations für nachhaltige Events sorgen, finden Sie bei uns im Magazin.
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© Titelbild: Pexels, Weitere: Stefan Lohmann